Interstellare Raumfahrt ohne Warp & Co.: Lichtsegel (Teil 1/2, Prinzipien)

Lichtsegel oder auch Photonensegel transportieren Nutzlasten ohne Treibstoff. So wie Segelboote vom Wind werden Lichtsegel vom Strahlungsdruck einer Lichtquelle angetrieben. Für Segeltörns innerhalb des Sonnensystems ist das die Sonne (Sonnensegel, Solarsegel), für interstellare Reisen ein gewaltiges Lasersystem. Wesentlicher Vorteil des Lichtsegels ist, dass keine Treibstoffmasse mitbeschleunigt werden muss. Daher kann es prinzipiell einen zweistelligen Prozentsatz der Lichtgeschwindigkeit erreichen. Doch diesen Vorteil gibt es nicht umsonst.

Im ersten Teil dieses Blog-Beitrags sehen wir uns die Prinzipien des Lichtsegels an, im Sonnensystem und im interstellaren Raum.
Der zweite Teil verdeutlicht an drei konkreten Szenarien die Herausforderungen der interstellaren Lichtsegelei.
Weitere Artikel zur interstellaren Raumfahrt erscheinen nach und nach in der Blog-Rubrik Interstellare Raumfahrt.

 

Lichtsegel sind große, hauchdünne und damit sehr leichte hochreflektierende Folien. Sie werden durch einen sehr leichten Rahmen oder durch die Fliehkraft ihrer Eigenrotation aufgespannt.

IKAROS. Für die Raumfahrt im Sonnensystem wird seit Jahrzehnten die Idee des Lichtsegels theoretisch und praktisch entwickelt, Das japanische Experimental-Raumfahrzeug IKAROS startete beispielsweise 2010. Es demonstrierte Sonnensegel-Technologie im interplanetaren Raum zwischen Erde und Venus.

IKAROS. Modell des japanischen Solarsegels auf dem 61sten Internationalen Astronautischen Kongress 2010 in Prag. Foto: Pavel Hrdlička, Wikipedia (Creative Commons BY-SA)

IKAROS-Modell auf dem 61sten Internationalen Astronautischen Kongress 2010 in Prag. Foto: Pavel Hrdlička, Wikipedia (Creative Commons BY-SA)

Von Lichtsegeln angetriebene Transporter können in der Zukunft innerhalb des Sonnensystems Nutzlasten transportieren, etwa zwischen Erde und Mond oder zwischen Erde und einem anderen Planeten.

Um mit einem Lichtsegel andere Sterne zu erreichen, sind die technologischen Probleme allerdings unvergleichlich schwieriger. Dennoch ist ein Vorteil des Lichtsegels verlockend: Es muss kein Antriebssystem und keine Treibstoffmasse mitbeschleunigt werden. Das Raumfahrzeug kann daher prinzipiell einen hohen Prozentsatz der Lichtgeschwindigkeit errreichen.

Auf interstellaren Missionen müssten Lichtsegel von einem starken Lasersystem beschleunigt werden, das im Sonnensystem postiert ist. Es könnte die Sonne umkreisen und seine Energie von ihr beziehen.

Ein weiterer Vorteil der Lichtsegelei ist, dass das kritischte Bauteil – der Antrieb – im Sonnensystem bleibt und dort gewartet und repariert werden kann.

Interstellarer Staub kann das Laserlicht allerdings abschwächen und das Lichtsegel aufgrund seiner enormen Geschwindigkeit beschädigen. Die genaue Verteilung des Staubs im Weltraum sollte daher vor einer Lichtsegel-Mission vermessen und berücksichtigt werden.

Lichtsegel für die interstellare Raumfahrt

Sie erfordern keine neuen Technologien, sondern lediglich die Weiterentwicklung vorhandener Technologien – allerdings in gigantischen Dimensionen. Dazu gehören

  • riesige und leichtgewichtige Strukturen, die das Lichtsegel aufspannen und manövrieren (einige 100 – 1000 km Durchmesser),
  • die riesige Sammellinse, die das Laserlicht bündelt, etwa aus konzentrischen Ringen in Form einer Fresnel-Zonenplatte (einige 100 – 1000 km Durchmesser),
  • die hauchdünne, hochreflektive und widerstandsfähige Spiegelfolie,
  • das Hochenergie-Lasersystem, das im Weltraum stationiert, gewartet und z.B. mit Sonnenenergie versorgt wird,
  • das Visier- und Verfolgungssystem, mit dem das Lasersystem auf das Lichtsegel ausgerichtet wird, je nach Missionstyp über Lichtjahre hinweg.

Einige Aspekte dieser gewaltigen Herausforderungen sehen wir uns genauer an.

Lichtsegel-Struktur

Geometrisch kann die Struktur eines Lichtsegels unterschiedlich gestaltet werden, beispielsweise quadratisch, scheibenförmig, hexagonal oder mit einem Netzwerk aus Dreiecken. Das Lichtsegel muss nicht durch Masten oder Ausleger aufgespannt werden. Um Masse zu sparen kann die Form des Lichtsegels durch die Fliehkraft einer langsamen Rotation und durch Seilverspannungen stabilisiert werden. Kleine experimentelle Sonnensegel werden im Weltraum entfaltet. Riesige Lichtsegel für die interstellare Raumfahrt würden voraussichtlich im Weltraum mithilfe noch größerer Hilfsstrukturen, Verspannungen oder Baugerüste zusammengefügt.

Beschleunigung und Betriebstemperatur

Je höher die Laserleistung und je geringer die Gesamtmasse des Lichtsegels sind, desto stärker beschleunigt das Lichtsegel. Die Beschleunigung steigt auch mit dem Reflektionsvermögen des Lasermaterials.

Die Laserleistung kann nicht beliebig hoch sein, denn das Lichtsegel muss die Leistung vertragen können. Der geringe Anteil der Laserenergie, der vom Lichtsegel verschluckt wird, heizt das Segelmatrial auf. Und die erreichte Temperatur hängt davon ab, wie gut das Segelmaterial die Wärmeenergie abstrahlt. Die Temperatur sollte unterhalb des Schmelzpunktes des Materials liegen. Für ein Aluminiumsegel liegt die maximale Betriebstemperatur somit bei etwa 600°C.

Um die Wärmebelastung des Lichtsegels zu minimieren, wird seine laserabgewandte Seite mit einem gut wärmeabstrahlenden Material beschichtet.

Optimierung der Segeldicke

Das Lichtsegel soll die Energie, die ihm das Lasersystem aus dem Sonnensystem sendet, optimal nutzen. Das heißt, es soll mit dieser Energie höchstmöglich beschleunigen, ohne Laserenergie zu verschwenden oder zu überhitzen. Dazu müssen mehrere Eigenschaften des Segels aufeinander abgestimmt werden:

Ein Material, das bei geringer Dichte und Dicke stark reflektiert ist Aluminium. Es lässt sich außerdem leicht zu dünnen Folien oder Beschichtungen verarbeiten.

Je dünner das Lichtsegel ist, desto weniger Masse besitzt es und umso stärker wird es durch das Laserlicht beschleunigt. Aber: Wenn das Lichtsegel zu dünn ist, lässt es zu viel Laserlicht durch, das somit keinen Schub erzeugt.

Ein dickeres Lichtsegel reflektiert das Laserlicht besser, verschluckt aber mehr Laserlicht, selbst wenn es den weitaus größten Anteil des Lichts reflektiert. Das verschluckte Laserlicht erwärmt das Lichtsegel. Welche Temperatur es erreicht, hängt von der Laserleistung ab und davon, wie gut es die Wärmeenergie in den Weltraum abstrahlt. Dieses Abstrahlvermögen ist wiederum abhängig von der Temperatur und der Oberflächenbeschaffenheit des Materials.

Alle diese Eigenschaften des Materials hängen von der Wellenlänge des Laserlichts ab. Für sichtbares Licht ergibt sich daraus eine optimale Dicke des Lichtsegels von etwa 16-20 Nanometer [ 1 ] (1 Nanometer = 1 millionstel Millimeter). Heutige experimentelle Lichtsegel sind einige Mikrometer dick (1 Mikrometer = 1 tausendstel Millimeter).

Antriebssystem

Ein wesentlicher Vorteil der Lichtsegelei ist, dass das Antriebssystem zu Hause bleibt und auch kein Treibstoff mitbeschleunigt werden muss. Das Antriebssystem besteht aus dem Lasersystem samt Energieversorgung und aus dem optischen System zur Bündelung des Laserlichts.

Hochleistungslaser

Das Lasersystem muss je nach Missionstyp über Jahre hinweg mit ausreichend Energie versorgt werden. Daher bietet sich die Stationierung in einer Sonnenumlaufbahn oder auf dem Merkur an, und die Sonne als Energiequelle zu nutzen.

Heutige Hochleistungslaser für den Dauerbetrieb arbeiten im Kilowatt- und niedrigen Megawatt-Bereich. Solche Laser müssen für das interstellare Lichtsegel in den Giga- oder Terawatt-Bereich weiterentwickelt werden, soweit keine anderen Hochleistungslasertypen in Sicht sind. Ein weiteres Problem ist, zahlreiche solcher Hochleistungslaser zu einem großflächigen Lasersystem zusammenzuschalten.

SuperXXL-Optik

Fresnel-Zonenplatte oder Zonenlinse. Grafik: Tom Murphy VII (Creative Commons BY-SA 3.0)

Fresnel-Zonenplatte oder Zonenlinse. Grafik: Tom Murphy VII (Creative Commons BY-SA 3.0)

Das Laserlicht muss über riesige Distanzen hinweg gebündelt werden. Daher muss die Öffnung des Lasersystems einen großen Durchmesser haben. Je nach Missionskonzept können dies mehrere 100 km sein oder auch 1000 km; das entspricht etwa einem Viertel Monddurchmessers. Die zahlreichen Laserstrahlen müssen in Phase geschaltet oder mit einer entsprechend großen optischen Linse gebündelt werden.

Wegen der Ausmaße der Linse kommt nur eine flache Bauform in Frage, aus heutiger Sicht am ehesten eine Fresnel-Zonenplatte oder Zonenlinse. In dieser Form wird sie auch „O’Meara Para-Lens“ genannt, nach dem Forscher der dieses Konzept eingehend studierte [ 2 ], und weil sie einem Fallschirm ähnelt (engl. Parachute).

Die Zonenplatte besteht aus hauchdünnen, konzentrischen Ringen unterschiedlicher Breite, die sich mit leeren Ringzonen abwechseln. Die Dicke der durchsichtigen Ringe ist so gewählt, dass sie die Phasen der Laserlichtwellen um 180° verschieben. Die Wellen werden dadurch so gebeugt, dass sie sich im weit entfernten Brennpunkt verstärkend überlagern. Im Falle des Lasersystems für interstellare Lichtsegel würde die Zonenplatte vermutlich aus Kunststoff gefertigt.

Die Dicke der Kunststoffringe liegt in der Größenordnung der Laserwellenlänge, also beispielsweise bei 1 Mikrometer (1 tausendstel Millimeter). Die Masse einer Zonenplatte mit 1000 km Durchmesser beträgt dann je nach Kunststoffmaterial etwa 560.000 Tonnen. Das ist mehr als 1200 Mal die Masse der Internationalen Raumstation, aber für eine technologisch fortgeschrittene Zivilisation sicherlich handhabbar.

Während das Lasersystem in Sonnennähe postiert ist, muss die Zonenlinse in einigem Abstand dazu aufgebaut sein, etwa zwischen Saturn und Uranus. Um die Zonenlinse präzise ausrichten zu können wird sie die Sonne nicht umkreisen. Sie wird in Position gehalten durch Lagekontrolldüsen und durch einen Teil des Laserlichts.

Lagekontrolle

Die Ausrichtung des Lichtsegels zur Lichtquelle lässt sich mithilfe des Lichtdrucks steuern. Auf diese Weise lässt sich die Richtung des Schubs verändern. Dazu werden der Schwerpunkt und der Druckpunkt des Segels gegeneinander verschoben, etwa durch bewegliche Segelelemente, bewegliche Steuermassen oder veränderliches Rückstrahlvermögen.

Der kritische Punkt: Bahnverfolgung

Die ganze Lichtsegelei steht und fällt mit der Zielgenauigkeit des Lasersystems. Wenn das Lichtsegel per Laserlicht am Zielstern gestoppt werden soll, genügt es nicht, das Segel nur im Bereich des Sonnensystems zu beschleunigen. Stattdessen muss das Licht über Lichtjahre hinweg exakt auf das Segel ausgerichtet werden können, während das Lasersystem um die Sonne kreist. Der Laserstrahl kann nicht beliebig weit aufgefächert sein, da sonst zuviel Laserleistung am Segel vorbeigeht. Er lässt sich leichter auf das Lichtsegel ausrichten, wenn das Raumfahrzeug einen Ziellaser mit sich führt, der rückwärts auf das Sonnensystem ausgerichtet ist.

Weitere Artikel zur interstellaren Raumfahrt und die anderen Beiträge dieser Artikelreihe erscheinen nach und nach in der Blog-Rubrik Interstellare Raumfahrt.

Neben der Visierhilfe ermöglicht der Ziellaser zwei weitere Anwendungen. Der Strahl des Ziellasers durchläuft das gesamte optische System samt Linse und Antriebslaser. Jede Verzerrung des Strahls auf diesem Weg ist an der empfangenen Wellenfront messbar. Damit können Korrekturspiegel des Antriebslasersystems justiert werden, um die Verzerrungen auszugleichen. Der Ziellaser kann auch zur Kommunikation mit dem Lichtsegel benutzt werden.

Ergänzend kann das Lichtsegel so konstruiert sein, dass es seine Ausrichtung auf dem Laserstrahl mithilfe des Lichtdrucks automatisch korrigiert, während das Lasersystem meist starr auf den Zielstern ausgerichtet ist.

Der zweite Teil dieses Blog-Beitrags wird in einigen Tagen erscheinen. Darin verdeutlichen drei konkrete Szenarien die Herausforderungen der interstellaren Lichtsegelei.

Links + Literaturhinweise

Planetary Society: LightSail
http://sail.planetary.org

Solar Power Sail Demonstrator IKAROS
http://www.jspec.jaxa.jp/e/activity/ikaros.html

[ 1 ] R. L. Forward: Roundtrip Interstellar Travel Using Laser-Pushed Lightsails, J. Spacecraft, Vol. 21, No. 2, pp 187-195, 1984
http://www.lunarsail.com/LightSail/rit-1.pdf

[ 2 ] T. R. O’Meara: The Para-Telescope, unpublished internal report, Hughes Research Laboratories, Malibu, Calif., Dec. 1979, zitiert in [ 1 ]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.