Aktuelle Messdaten von Kleinasteroiden, die seit 2000 in der Erdatmosphäre explodiert sind, wurden kürzlich von vielleicht unerwarteter Quelle geliefert. Sie haben zu einer Neubewertung des Einschlagrisikos der Asteroiden geführt. Anscheinend wurde die Häufigkeit von potenziellen „Stadtzerstörern“ bisher unterschätzt. Die neuen Erkenntnisse werden in einem Video verdeutlicht.
Auf einer Pressekonferenz im Seattle Museum of Flight wurden am 22. April 2014 neue Erkenntnisse zur Häufigkeit von Asteroiden-Einschlägen vorgestellt. Die Erkenntnisse basieren auf Messdaten eines weltweiten Netzwerks von Infraschall-Sensoren. Aufgebaut und unterhalten wird das Sensornetzwerk von der vorbereitenden Kommission der CTBTO, das ist die Organisation des Vertrags über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen (Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty Organization).
Ohne Vorwarnung: Explosionen von Kleinasteroiden in der Erdatmosphäre
Zwischen 2000 und 2013 registrierte das Sensor-Netzwerk 26 stärkere Explosionen innerhalb der Erdatmosphäre. Sie wurden allerdings nicht von nuklearen Sprengsätzen ausgelöst, sondern von kleineren Asteroiden, die in die Erdatmosphäre eindrangen. Nach den veröffentlichten Daten lagen ihre Energien zwischen 1 und etwa 500 Kilotonnen TNT-Äquivalent. Zum Vergleich betrug die Sprengkraft der Hiroshima-Atombombe 1945 etwa 15 Kilotonnen.
Explosiver Feuerball. Ein kleiner Asteroid drang am 2. Februar 2013 in die Erdatmosphäre ein. Der Feuerball explodierte über Tscheljabinsk am Ural und verwüstete zahlreiche Gebäude. Als Folge wurden hunderte Personen verletzt. Das Foto wurde aus 200 km Entfernung aufgenommen, etwa eine Minute nach der Explosion. Foto: Alex Alishevskikh, Creative Commons BY-SA 2.0
Ein besonders dramatisches Schauspiel bot einer der registrierten Asteroiden am russischen Himmel. Er explodierte am 15. Februar 2013 15 bis 20 km hoch über Tscheljabinsk am Ural, als er mit über 64.000 km/h in die Atmosphäre eindrang. Dabei setzte er mehr als die 30fachen Energie der Hiroshima-Atombombe frei. Sein Durchmesser wurde auf 15 bis 20 m geschätzt, seine Masse auf etwa 7.000 Tonnen.
Keiner dieser Asteroiden wurde vor seiner Explosion registriert, etwa durch ein Weltraumteleskop oder ein irdisches Observatorium.
Glücklicherweise explodierten die meisten dieser Asteroiden zu hoch in der Atmosphäre, um am Boden schweren Schaden anzurichten. Eine Ausnahme war die Explosion über dem russischen Tscheljabinsk. Anhand der registrierten Explosionen lässt sich die Häufigkeit solcher Einschläge abschätzen, die eine Großstadt zerstören könnten.
Explosionen von Asteroiden in der Erdatmosphäre | ||
Datum | Region | Sprengkraft in KilotonnenTNT-Äquivalent (Hiroshima-Atombombe: etwa 15 Kilotonnen) |
25.08.2000 | Nordpazifik | 1-9 |
23.04.2001 | Nordpazifik | 1-9 |
09.03.2002 | Nordpazifik | 1-9 |
06.06.2002 | Mittelmeer | 20+ |
10.11.2002 | Nordpazifik | 1-9 |
03.09.2004 | Antarktischer Ozean | 20+ |
07.10.2004 | Indischer Ozean | 10-20 |
26.10.2005 | Südpazifik | 1-9 |
09.11.2005 | New South Wales, Australien | 1-9 |
06.02.2006 | Südatlantik | 1-9 |
21.05.2006 | Südatlantik | 1-9 |
07.06.2007 | Finnland | 1-9 |
09.08.2006 | Indischer Ozean | 1-9 |
02.09.2006 | Indischer Ozean | 1-9 |
02.10.2006 | Arabisches Meer | 1-9 |
09.12.2006 | Ägypten | 10-20 |
22.09.2007 | Indischer Ozean | 1-9 |
26.12.2007 | Südpazifik | 1-9 |
07.10.2008 | Sudan | 1-9 |
08.10.2009 | Südsulawesi, Indonesien | 20+ |
03.09.2010 | Südpazifik | 10-20 |
25.12.2010 | Tasmanische See | 1-9 |
22.04.2012 | Kalifornien, USA | 1-9 |
15.02.2013 | Oblast Tscheljabinsk, Russland | 20+ (Anm. M. M.: nach wiss. Veröffentl. etwa 500 kt) |
21.04.2013 | Santiago del Estero, Argentinien | 1-9 Kilotonnen |
30.04.2013 | Nordatlantik | 10-20 Kilotonnen |
Die Daten beruhen auf dem Netzwerk von Infraschall-Sensor der Organisation des Vertrags über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen/vorbereitende Kommission (Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty Organization, CTBTO). Quelle: B612 Foundation |
Infraschall des Asteroiden, der am 15.02.2013 in Russland über Tscheljabinsk explodierte, umgesetzt in hörbaren Frequenzbereich. Sensor-Aufzeichnung der Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty Organization, CTBTO
Impakt-Video der B612 Foundation: Überblick über die registrierten Explosionen von Kleinasteroiden in der Erdatmosphäre zwischen 2000 und 2013 (englisch)
Private Asteroidenjagd – die B612 Foundation
Asteroiden-Wächter Sentinel. Umlaufbahn um die Sonne und Blickfeld des geplanten Infrarot-Satelliten. Grafik: Ball Aerospace
Die Daten der Asteroiden-Explosionen in der Erdatmosphäre wurden von ehemaligen Shuttle- und Apollo-Astronauten präsentiert, die die B612 Foundation unterstützen. Diese gemeinnützige und private Stiftung fördert das Aufspüren erdnaher Asteroiden und den Schutz der Erde vor deren Einschlägen. Dazu gab die Stiftung der Ball Aerospace den Bau des Sentinel Space Telescope in Auftrag. Das ist ein Infrarot-Weltraumteleskop, das voraussichtlich 2018 von einer Falcon-Trägerrakete in eine Sonnen-Umlaufbahn transportiert werden soll. Dort soll das erste privat finanzierte Weltraumteleskop als Frühwarnsystem gefährliche Asteroiden aufspüren. Dazu werden aus den Infrarotaufnahmen die Bahndaten von Asteroiden im inneren Sonnensystem gewonnen, insbesondere von solchen, die die Erdbahn kreuzen. Die so gewonnene Vorwarnzeit soll es in absehbarer Zukunft ermöglichen, den gefährlichen Asteroiden von seinem Kollisionskurs abzulenken.
Warnschuss
Im Februar explodierte ein Kleinasteroid über dem russischen Tscheljabinsk, wobei die Druckwelle Gebäude zerstörte und Menschen verletzte. Eine Vorwarnung gab es nicht. Die Normalbürger erfuhren genauso wie die Raumfahrtagenturen davon erst über YouTube und Twitter. Das ist sicherlich unakzeptabel. Daher empfahl die Association of Space Explorers (ASE) den Vereinten Nationen angemessene Vorsorge zu ergreifen. Die ersten internationalen Maßnahmen wurden daraufhin bereits eingeleitet.
Siehe hierzu den Blogbeitrag Asteroiden-Abwehr im Auftrag der Vereinten Nationen.
Die ASE ist ein internationaler Zusammenschluss von Raumfahrerinnen und Raumfahrern, der 1985 gegründet wurde. Ziel der ASE ist im Wesentlichen, die globale Zusammenarbeit aller Menschen auf allen Gebieten zum Wohle aller zu fördern. Manche der ASE-Mitglieder engagieren sich gleichzeitig in der B612 Foundation oder haben sie sogar mitgeründet.
Asteroiden-Treffer häufiger als bisher angenommen
Leitgedanke der B612 Foundation mit Abbildung des Infrarot-Satelliten Sentinel als Asteroiden-Wächter. Grafik: B612 Foundation
Bisher wurden hauptsächlich zwei Typen von Asteroiden statistisch erfasst. Das waren einerseits per Teleskop sichtbare Großasteroiden, die zum Teil den ganzen Planeten verwüsten und die menschliche Zivilisation beenden könnten. Andererseits konnte auch die Zahl kleinster Asteroiden abgeschätzt werden. Denn sie leuchten als Meteore auf, wenn sie die Erdatmosphäre treffen. Für Kleinasteroiden deren Ausmaße zwischen diese beiden Gruppen liegt, gab es bisher nur wenig Daten. Von den schätzungsweise Millionen erdnaher Asteroiden mit 10-20 Metern Durchmesser sind lediglich etwa 500 katalogisiert. Die neuen Infraschallmessungen füllen daher die Lücke zwischen den größten und kleinsten Asteroiden.
Demnach wird unser Planet häufiger von Kleinasteroiden getroffen, als bisher angenommen. Nach den aktuellen wissenschaftlichen Schätzungen können wir statistisch gesehen etwa alle 100 Jahre von einem Brocken mit Multi-Megatonnen-Sprengkraft getroffen werden, also von einem Kleinasteroiden der eine Großstadt zerstören könnte. Die nun veralteten statistischen Schätzungen für solche Asteroiden sahen Treffer nur etwa alle 300 bis 1000 Jahre.
Die seit dem Jahr 2000 registrierten Treffer haben glücklicherweise keine Stadt zerstört, da die Kleinasteroiden hoch in der Atmosphäre explodiert sind. Allerdings lässt sich nicht sagen, wann oder wo uns ein Kleinasteroid treffen wird, der den Erdboden erreicht oder in geringer Höhe explodiert. Der Sentinel-Satellit der B612 Foundation soll dies ab dem Ende des Jahrzehnts ändern.
Links
B612 Foundation
http://b612foundation.org
Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty Organization, CTBTO / preparatory Commission
http://www.ctbto.org
Association of Space Explorers (ASE)
http://www.space-explorers.org
P. G. Brown et al.: A 500-kiloton airburst over Chelyabinsk and an enhanced hazard from small impactors; Nature 503, 238–241, doi:10.1038/nature12741
http://www.nature.com/nature/journal/v503/n7475/full/nature12741.html